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Innovative Technik für die weltweit größte Windausbeute Floating-Offshore-Projekte: der lange Weg von der Idee bis zum Erfolgsmodell

13.04.2023 7 Minuten Lesezeit

Das Schicksal vieler Vordenker besteht darin, dass ihnen kaum jemand glaubt oder fast niemand hören will, was sie sagen. So erging es auch William Heronemus, Professor für Bauingenieurwesen an der University of Massachusetts, der 1968 schrieb: „In unmittelbarer Zukunft ist damit zu rechnen, dass die ‚Energielücke‘ zu einer Reihe von Krisen führen wird, da die Spitzenlasten nicht gedeckt werden. Die Ostküste wird für den Großteil ihres Öls und Gases von ausländischen Quellen abhängig sein. Die Umwelt wird sich weiter verschlechtern, obwohl die Kontrollen immer strenger werden. […] Angesichts des fortwährenden Dilemmas ‚Energie und Umweltverschmutzung‘ muss eine dritte Alternative zu nuklearer und fossiler Energie gesucht werden. Sie kann in den zahlreichen und vielfältigen umweltfreundlichen Energiequellen gefunden werden, von denen bekannt ist, dass sie in den USA oder ihrem vor der Küste liegenden Gebiet existieren. Diese Energiequellen […] könnten einen erheblichen Teil unseres gesamten Energiebedarfs im Jahr 2000 decken.“1

1973 brachte William Heronemus erstmals die Idee einer schwimmenden Windkraftanlage auf und legte zwei Jahre später detaillierte Entwürfe zu Offshore-Windparks aus schwimmenden Anlagen nach.2

Wegweisende Technik für die weltweit größte Windausbeute

Schwimmende Windkraftanlagen, im Fachjargon „Floating Offshore Wind Energy“ genannt, sind auf luftgefüllten Hohlkörperfundamenten installierte Windräder, die mit Ketten oder Leinen am Meeresboden verankert sind. Als Alternative zu klassischen Offshore-Windkraftanlagen, deren Fundament in den Meeresboden getrieben ist, werden sie zunehmend interessanter. Zum einen sind sie umweltfreundlicher, da das Vertäuen der Schwimmfundamente am Meeresboden weniger Lärm verursacht und ein Rückbau keinen großen Aufwand erfordert. Zum anderen bieten sie die Möglichkeit, jene 80 Prozent der weltweiten Windressourcen zu erschließen, die über mehr als 60 Meter tiefen Gewässern liegen.

Bislang unentschieden: der Wettbewerb der Systeme

Mit der wachsenden Entfernung zur Küste nehmen nicht nur die Windstärken zu, sondern auch die technischen Herausforderungen. Zwar ist die Entwicklung der schwimmenden Fundamente und ihrer Verankerungen schon weit fortgeschritten, doch das perfekte System ist bislang nicht identifiziert. Als Favoriten gelten die folgenden drei:

  • Die Holmbojenplattform (Spar Buoy) basiert auf einem Hohlkörper aus Stahl oder Beton, unter dem sich ein bis zu 100 Meter langes Masseteil befindet, das dem Konstrukt einen tiefen Schwerpunkt verleiht. Gleichzeitig sorgt der Auftriebskörper dafür, dass sich das Windrad stets wieder aufstellt. Bläst der Wind besonders stark, ändert das Windrad den Winkel seiner Rotorblätter. Das Objekt ist mit drei Seilen am Meeresgrund fixiert. Der Nachteil: Da es rund 200 Meter Wassertiefe benötigt, ist die Installation aufwendig.
  • Die Kahnplattform oder „Barge“-Lösung besteht aus drei Antriebskörpern, die so tief im Wasser liegen, dass sie auch bei starkem Wind stabilisierend wirken. Dieses Konstrukt verhindert, dass der Winddruck den Turm zu sehr neigt. Um das Windrad und seinen Unterbau zusätzlich zu stabilisieren, pressen Pumpen binnen Sekunden automatisch Wasser in die dem Wind zugewandten Auftriebskörper.
  • Die Spannbeinplattform (Tension Leg) hat durch ihre großen Schwimmkörper einen enormen Auftriebsüberschuss, welcher dem Windrad eine nach oben gerichtete Kraft verleiht. Die Stahlseile, die das Floating mit einem 2500 Tonnen schweren Betonblock am Meeresboden verankern, wollen das ganze Konstrukt nach unten ziehen. Beide Kräfte, Auftriebskraft und Zugkraft, agieren somit gegeneinander und halten letztlich die Plattform stabil an ihrer Stelle. 

Ob sich eines der drei Systeme durchsetzt oder ob weiterhin mehrere parallel existieren, lässt sich derzeit noch nicht sagen. Auch die Kombination verschiedener Vorteile wird derzeit getestet. Der Ausgang ist offen.

Europa: mehr Potenzial als die USA und Japan zusammen

Doch egal wie das Battle um die Fundamenttypen ausgeht, Europa hat sich bereits als Technologieführer positioniert. Das liegt nicht zuletzt an den idealen Bedingungen. Die tiefen, windreichen Gewässer an Europas Westküsten und im Mittelmeer garantieren große Energieerträge bei gleichzeitig kurzen Übertragungswegen dank der Nähe zu den Verbrauchern. 

Gerade vor den Küsten Großbritanniens, Irlands, Frankreichs, Spaniens und Portugals mit ihren steil abfallenden Meeresbetten, tiefen Gewässern und dicht besiedelten Küsten schlummert ein enormes Potenzial. Wenn der aus dem Jahr 2017 stammende Bericht des europäischen Branchenverbands WindEurope Recht behält, haben europäische Gewässer mit 4.000 Gigawatt möglicher Leistung deutlich mehr Potenzial als die USA und Japan zusammen.3

Norwegen macht den Anfang, Portugal legt nach

34 Jahre sollten nach William Heronemus denkwürdigen Äußerungen ins Land gehen, bis im Jahr 2009 mit „Hywind Demo“ der erste Prototyp einer schwimmenden Windkraftanlage im norwegischen Åmøy-Fjord installiert wurde. Bei Windstärken bis 44 Meter pro Sekunde und Wellenhöhen bis 19 Meter lief die Anlage in den Folgejahren ohne nennenswerte Zwischenfälle.4

Trotz dieses Erfahrungsvorsprungs kamen die Portugiesen den Norwegern mit ihrem schwimmenden, im Jahr 2020 in Betrieb genommenen Offshore-Windpark „Windfloat Atlantic“ zuvor. Er markiert das erfolgreiche Ende eines jahrzehntelangen Projekts des Joint Ventures WindPlus und gleichzeitig den Anfang einer neuen portugiesischen Floating-Offshore-Ära. Der im Oktober 2022 in Betrieb genommene schwimmende Offshore-Windpark „Viana do Castelo“ mit 25 Megawatt ist lediglich der Vorbote eines Testgebiets, auf dem eine Floating-Offshore-Leistung von 500 Megawatt freigesetzt werden soll.5

Der Wettbewerb der Superlative hat begonnen

Im Jahr 2021 hatte aber zunächst Schottland mit dem 15 Kilometer vor der Küste von Aberdeenshire gelegenen 50-Megawatt-Offshore-Windpark „Kincardine“ die Nase vorn. Den Rekord als größter schwimmender Offshore-Windpark der Welt konnte er jedoch gerade mal ein Jahr halten.6

Dann wurde er vom norwegischen „Hywind Tampen“ mit 88 Megawatt Leistung übertrumpft.7
Auch das als Atomkraft-Nostalgiker bekannte Frankreich hat die Hochsee-Windkraft für sich entdeckt und baut derzeit mit „Provence Grand Large“, „Eolmed“ und „Les Éoliennes Flottantes du Golfe du Lion“ parallel an drei schwimmenden Windparks.8

Schweden, bekennender Streber in Sachen erneuerbare Energien, hat seinerseits die Aufholjagd gestartet. Das Joint Venture Freja Offshore hat vier schwimmende Windprojekte mit einer Gesamtkapazität von acht Gigawatt in der Pipeline. Parallel haben sich Simply Blue, Deep Wind Offshore, Njordr Offshore Wind und RWE als ambitionierte Hochsee-Windfänger in Stellung gebracht.9
Dass Deutschland in diesem Wettstreit bislang keine Rolle spielt, hat wiederum ganz pragmatische Gründe. Angesichts eher geringer Wassertiefen in einem Radius von bis zu 120 Kilometern sind auf dem Meeresboden installierte Windräder hierzulande wesentlich kostengünstiger.

Im Jahr 1999, drei Jahre vor seinem Tod, wurde William Heronemus für sein Lebenswerk ausgezeichnet. In seiner Dankesrede sagte er: „Es ist absolut notwendig, dass die Erde in unserem Sonnensystem im thermischen Gleichgewicht bleibt. […] Und der produktivste aller Solarenergieprozesse ist der Windenergieprozess. Die Windenergie muss in einem stetigen und angemessenen Tempo entwickelt werden, aber das kapitalistische System des freien Marktes, das wir so sehr schätzen, wird diese Aufgabe nicht erfüllen. Es bedarf massiver staatlicher Eingriffe. Wenn wir darauf warten, dass der Privatsektor die Treibhausgase reduziert, die mit unserem Verbrauch fossiler Brennstoffe verbunden sind, wird es zu spät sein.“

Mit dem European Green Deal in Europa und dem Inflation Reduction Act in den USA haben wir das Erbe dieses großartigen Vordenkers nun endlich angetreten. Es wurde auch Zeit.10